Zusammenfassung
Wir berichten an dieser Stelle abschließend über den Erkenntnisgewinn aus dem Projekt „TINCa Dairy Tail Inflammation and Necrosis in Dairy Cattle – Beitrag zur Verbesserung des Tierschutzes und der Tiergesundheit in der Milchviehhaltung durch Untersuchungen zu Prävalenz und Ätiologie von Schwanzspitzennekrosen bei Milchkühen“. Das Projekt hatte eine Laufzeit vom 1. Juni 2021 bis 31. Dezember 2024.
Die angestrebten Projektziele lauteten:
- Mögliche Schwanzspitzenveränderungen bei Milchkühen beschreiben,
- ihre Prävalenz erfassen,
- die Ätiologie derartiger Veränderungen untersuchen,
- ein bereits erstelltes Scoringsystem zu validieren und
- entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Das Projekt umfasste drei Teilprojekte (TP) und kürzere Erhebungen im Rahmen von Abschlussarbeiten, die weitere Aspekte bzw. aufgekommene Fragen bearbeiten.
- TP1: Ursachen und Zusammenhänge der Entstehung von Schwanzläsionen; Betrieb in Sachsen, Herdengröße ca. 1.300 Deutsche Holsteins
- TP2: Die Schwanzspitze als Tiergesundheitsindikator bei Milchkühen; Betrieb in Bayern, Herdengröße ca. 600 Deutsche Holsteins
- TP3: Evaluation eines möglichen Bovinen Inflammations und Nekrosesyndroms; Betrieb in Bayern, Herdengröße ca. 120 Fleckvieh, Deutsche Holsteins, deren Kreuzungen
Stand zum Projektende:
- Die Ergebnisse von TP 1 wurden im Rahmen von zwei Abschlussarbeiten und mehreren Vortrags- und Posterpräsentationen veröffentlicht.
- Die Daten aus TP 2 wurden final ausgewertet und ein Manuskript im Dezember 2024 beim Journal of Dairy Science eingereicht. Es befindet sich derzeit im Review.
- in TP 3 sind alle Daten erhoben und die Auswertung der Blutentnahmen liegen vor. Hier ist bislang eine deskriptive statistische Analyse erfolgt, die in-depth Analyse und die klinische Interpretation der Daten in Zusammenarbeit mit der Klinik für Klauentiere der Uni Leipzig dauern nach wie vor an
Im Rahmen des Projektes TINCa Dairy konnten zahlreiche Daten erhoben und ausgewertet werden. Insgesamt wurden drei Teilprojekte durchgeführt und zusätzlich mehrere Bachelorarbeiten und Projektarbeiten ergänzend zu den formulierten Fragestellungen durchgeführt. Abschließend können wir festhalten, dass die Untersuchungen gezeigt haben, dass es sich bei den beschriebenen Veränderungen bei Milchkühen um ein häufiges Phänomen handelt. Es hat sich gezeigt, dass die Veränderungen für die Tiere mit Schmerzen einhergehen. Wir betrachten die Veränderungen daher als Tierschutzproblem.
Neben den festgestellten Häufigkeiten haben wir versucht, die Ursachen der Veränderungen zu verstehen. In der Literatur findet man zu Schwanzspitzenentzündungen vornehmlich Daten zu Mastrindern (Drolia et al., 1990, 1991; Schrader et al., 2001). Bei Milchkühen ist das Phänomen bis vor kurzem kaum näher untersucht worden. Die meisten Studien haben sich hierbei vor allem mit Veränderungen im wirbeltragenden Bereich des Schwanzes und mit Folgen des Amputierens von Kuhschwänzen befasst (Moorman et al., 2018; Crossley et al., 2022; Moono et al., 2022). Neuere Untersuchungen zeigen jedoch ein steigendes Interesse an den hier beobachteten Veränderungen –
auch von anderen Arbeitsgruppen (Cuttance et al., 2024; Volhøj et al., 2024). Auch bei diesen Autorengruppen wird das Auftreten als Tierschutzproblem mit besonderer Betrachtung der ringähnlichen Veränderungen eingeordnet. Die Frage der Ursache wird in der Literatur bei Mastrindern mit verschiedenen Faktoren assoziiert. Hierbei werden immer wieder Aufstallungssystem und Besatzdichte, aber auch unzureichende Wasserversorgung und nicht wiederkäuergerechte Rationen genannt (Drolia et al., 1990; Schrader et al., 2001; Kordowitzki, 2015).
Die pathohistologische Untersuchung der Schlachtpräparate (Lorenz et al., 2024) bestätigte die makroskopisch bereits beschriebenen Veränderungen (Kremer-Rücker et al., 2024) wie Hyperkeratosen, Nekrose, Rötung, Schwellung und partielle Atrophie der Schwanzspitzen.
Grundsätzlich ähnelten die beobachteten Veränderungen denen, die bei Mastrindern beschrieben wurden (Drolia et al., 1991). Veränderungen wie Nekrosen der Schwanzspitzen bei Rindern treten jedoch auch nach der Einwirkung von diversen Mykotoxinen auf (Riet-Correa et al., 2013; Rahimabadi et al., 2022). Durch die Selektion der Präparate am Schlachthof konnte kein Zusammenhang zum
vorgelegten Futter der Tiere vor der Schlachtung hergestellt werden. Die vorgefundenen Koagulationsnekrosen wären jedoch auch mit dem Einwirken von Mykotoxinen, v. a. im Sinne des Ergotismus und der damit einhergehenden Vasokonstriktion vereinbar (Liegl and McGrath, 2015).
Auch bei anderen Tierarten, wie Schweinen (Reiner et al., 2021) oder Labornagern (Crippa et al., 2000; Recordati et al., 2015), wird der Einfluss der Durchblutung der Akren als mögliche Ursache für eine Entzündung, bzw. Nekrose des Schwanzes diskutiert. Störungen der Blutzirkulation sind ebenfalls für die Entstehung von Klauenrehe bei Kühen verantwortlich (Andersson und Bergman, 1980; Nocek, 1997). Mehrere Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Pansenazidose und Klauenrehe hin, da man annimmt, dass Endotoxine und vasoaktive Substanzen, die im Zuge der Pansenazidose freigesetzt werden, das Mikrogefäßsystem der Zehe schädigen, was zu einer Ischämie der Lederhaut führt. Da sowohl die Klauen als auch der Schwanz eine vaskuläre Grenzzone darstellen, ist eine ähnliche Pathogenese der beobachteten Schwanzläsionen prinzipiell denkbar.
Die Ergebnisse aus TP 2 (Köhler et al., in review) zeigten deutlich, dass sich die Schwanztemperatur bei Kühen als Indikator der Durchblutungsstärke in Abhängigkeit bestimmter pathologischer Veränderungen (z.B. Zellzahl, Lahmheit, Körpertemperatur, reduzierte Futteraufnahme) änderte. Auch sind hiermit die Häufigkeiten des Auftretens verschiedener Läsionen der Schwanzspitze verbunden. Die
Daten belegen deutlich, dass Kühe mit hoher Leistung, gesunden Eutern und sehr guten Bewegungsnoten auch meist unversehrte und nicht schmerzhafte, aber vor allem warme Schwanzenden aufweisen. Mit abnehmender Temperatur und somit abnehmender Durchblutung des Schwanzes ließen sich Euterentzündungen, Lahmheiten und erhöhte Körpertemperatur im Sinne von Fieber assoziieren. Diese Ergebnisse geben einen weiteren Hinweis in Richtung des Vorhandenseins eines Bovinen Inflammations- und Nekrosesyndroms, wie es auch beim Schwein (Reiner et al., 2021) beschrieben ist. Ergänzend hierzu erwarten wir die Ergebnisse aus TP 3 als sehr wertvoll. Die Auswertung und vor allem die Interpretation und Diskussion der Ergebnisse dieser Datenerhebung sind laufend.
Abschließend halten wir daher fest, dass im Rahmen der Untersuchungen und ermöglichten Veröffentlichungen aus dem Projekt TINCa Dairy der Grundstein gelegt werden konnte, eventuell bei Rindern und explizit bei Kühen ebenfalls ein Entzündungs- und Nekrosesyndrom zu beschreiben. Hierzu liefern die Ergebnisse zahlreiche Hinweise. Dennoch sind weitere Untersuchungen nötig, um das Vorhandensein eines solchen Syndroms zu belegen.
A.A. Köhler, A.M. Scholz, P.V. Kremer-Rücker. Thermographic analysis of tail tips as an indicator of animal health in Holstein cows. Journal of Dairy Science, eingereicht am 09.12.2024, Status: In Review