Untersuchungen zum Geburtsverlauf und zur Aufzuchtleistung von Mutterschweinen aus modernen Zuchtlinien unter verschiedenen Haltungsbedingungen

Präambel

Die derzeit üblichen Haltungsbedingungen für Zuchtsauen im peripartalen Zeitraum sollen in den kommenden Jahren grundsätzlich umgestellt werden, um deren Tierwohl nachhaltig zu verbessern. Es besteht daher im Vorfeld der Bedarf anhand von präzisen Erhebungen die Vor- und Nachteile der anvisierten Systeme gegenüber denen der herkömmlichen Haltungsweise ergebnisoffen darzustellen, um auf dieser Grundlage rechtzeitig eventuell notwendig werdende Korrekturen vornehmen zu können.

Seit Jahrzehnten werden Mutterschweine um den 110. Tag der Gravidität nach Gesundheitskontrolle und hygienischer Vorbereitung in sogenannten Kastenstände zur Geburt und Aufzucht der Jungtiere verbracht. Sie verbleiben in diesen kastenstandbedingten, engen Raumverhältnissen mit nur geringer Bewegungsmöglichkeit für ca. 4 bis 5 Wochen. Zudem wurden und werden bei einem erheblichen Teil der Muttersauen um den Geburtstermin herum (113.-115. Tag der Gravidität) geburtssteuernde Verfahren auf hormonaler Grundlage angewandt, um eine Geburtssynchronisation zu erreichen. Sinn dieser Maßnahmen war und ist zum einen, die Ferkelverluste in der Aufzuchtperiode zu verringern, zum anderen Arbeitszeit sowie arbeitskräfteeinsparende und ökonomische Effekte zu erzielen.

Im Vorgriff auf die angestrebte neue Verordnung zur Haltung von Schweinen im peripartalen Zeitraum sind einige Betriebe bereits dazu übergegangen, Muttertiere in geräumigen (7 m2) Einzelboxen oder in Gruppenhaltung abferkeln zu lassen. Die damit erreichte relativ freier Bewegungsmöglichkeit, die Gelegenheit für die individuelle Geburtsplatzwahl und -gestaltung sowie die Option eines zwanglosen Kontaktes zwischen Muttertier und Ferkeln in der Aufzuchtperiode – kommen den tierärztlichen Bedürfnissen nahe und könnten so Einfluss auf das Tierwohl im peripartalen Abschnitt des Reproduktionszykluses nehmen.

Allerdings wird zum Komplex Geburtsverlauf und Aufzuchtleistung zurzeit eine differenzierte Diskussion auf zwei Ebenen geführt. Diese betrifft die Frage, ob Muttersauen moderner Zuchtlinien (z.B. Dalland, Topigs-, Hypor-Linie) in der Lage sind, diese natürlicheren Haltungsbedingungen sofort und mühelos aufgrund evolutionär ausgeprägter Verhaltensweisen zu adaptieren. Oder ist zu befürchten, dass diese Adaptation an die neuen Abferkelverhältnisse mit Problemen verbunden ist, weil über die jahrzehntelange Kastenstandhaltung gewisse Merkmale im peripartalen Verhaltensmuster sowie in der Pflege- und Aufzuchtintensität gegenüber den Nachkommen in den Hintergrund getreten sind. Die zweite Ebene betrifft den kritischen Punkt, ob durch die dauerhafte Anwendung exogen-hormoneller, geburtssteuernder Maßnahmen auch beim Geburtsverlauf selbst – Gesamtgeburtsdauer und Intervalle zwischen der Expulsion einzelner Ferkel – gewisse Aberrationen entstanden sind, weil die Selektion auf geburtsstabile Muttertiere, zumindest teilweise, über die Zeit nicht im erforderlichem Maße erfolgte. Oder bewirkt alleine die Umstellung der Haltungsweise, dass die Muttertiere dann auch ohne hormonelle Steuerung in ökonomisch vertretbarer Zeitspanne weitgehend komplikationslos abferkeln, weil ihr Wohlbefinden dadurch eventuell gefestigt und so die Geburtsstresssituation natürlicherweise besser bewältigt wird.

Diese zukunftsorientierte Gesamtproblematik ist Gegenstand der angestrebten Untersuchung. Vorgesehen ist, detaillierte Erhebungen bei Hybridsauen im peripartalem Zeitraum unter verschiedenen Haltungsbedingungen (Kastenstandhaltung, Abferkelung in Einzelboxen und in Gruppenhaltung) durchzuführen, wobei sowohl die Erfassung ethologischer, biochemischer und endokrinologischer Parameter, aber auch die Beachtung ökonomischer Belange im Vordergrund stehen. Diese Daten stellen dann die Basis für die Analyse mit der Fragestellung dar, welche Haltungsform unter geburtsphysiologischen, tierwohlentsprechenden und ökonomisch vertretbaren Aspekten als die geeignetste anzusehen ist.

Zielstellung

Aus den dargelegten, derzeit existenten und anzustrebenden peripartalen Verhältnissen in der Schweinehaltung ergeben sich folgende, zu analysierende geburts- und aufzuchtphysiologische, ethologische sowie laborwertgestützte Schwerpunkte, wobei eine ergebnisoffene Darstellung nach Vorliegen aller Daten ansteht.

Es soll untersucht werden, ob Unterschiede im Geburtsverlauf bei Hybridschweinen unter verschiedenen Abferkelbedingungen bestehen (Kastenstand, Einzelboxen, Gruppen). Dabei ist die Frage zu klären, ob Muttertiere aus modernen Linien durch Änderungen ihrer Haltungsbedingungen in die Lage zurückgeführt werden können, weitgehend komplikationsfrei und im bestimmten, wirtschaftlich vertretbar zeitlichem Limit ohne exogene hormonelle Geburtssteuerung zu gebären.

Im Rahmen dieser Studie ist in den Gruppen nicht nur die Zahl der lebend- und totgeborenen Ferkel zu erfassen, sondern insbesondere sind die Intervalle zwischen der Geburt zweier Ferkel sowie die Gesamtdauer der Geburt in Relation zur Wurfgröße festzustellen.

Im Einzelversuch sind begleitende Laboruntersuchungen (Hormonbestimmungen, Blutzucker und Elektrolytmessungen) durchzuführen, um die funktionelle Belastung des Stoffwechselhaushaltes im peripartalen Abschnitt des Reproduktionszyklus bei Muttertieren und deren Nachkommen exakter abschätzen zu können.

Weiterhin ist ein Augenmerk auf die Differenzierung der Ferkelverluste in der frühen postnatalen Periode sowie bis zum Absetzalter zu legen. Hier steht vor allem an, ethologische Verhaltensweisen der Muttertiere und deren Nachkommen im Vergleich zwischen den Haltungsformen in der Aufzuchtperiode zu beobachten und zu quantifizieren, um Gründe für die Totalverluste in den ersten fünf Tagen nach der Geburt zu eruieren.

Im Rahmen der Gesamtuntersuchung ist weiterhin die Gesamtentwicklung des Wurfes bis zum Absetzen anhand von Gewichtsbestimmungen zu kontrollieren und eine genaue Analyse über die Laktationsleistung zu erstellen.

http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2020/15523/pdf/BlimSarah_2020_07_13.pdf