Wo sind die Stellschrauben?

„Richtungssicher“. Das war eines der Schlüsselworte beim Dialog-Workshop der gemeinnützigen Tönnies Forschung am 25. März 2025 in Badbergen. Mehr als 40 Vertreter aus Lebensmitteleinzelhandel, Wirtschaft, Landwirtschaft, Wissenschaft und Verbänden erörterten Lösungen, die dazu geeignet sind, Ökosysteme zu schützen und gleichzeitig eine nachhaltige Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Im Fokus stand die Frage: Biodiversität und Nutztierhaltung – wo sind die Stellschrauben? „Die Herausforderung besteht darin, alle Interessen in Einklang zu bringen“, sagt Dr. Gereon Schulze Althoff, Geschäftsführer der Tönnies Forschung gGmbH. „Schließlich bilden Weidehaltung und Artenvielfalt eine Einheit, die auch ganzheitlich betrachtet werden muss.“
Auch kleine Schritte führen zum Ziel
Das Wissen um erfolgsversprechende Synergien und Stellschrauben sei durchaus bekannt, betonte Thomas Muchow, Geschäftsführer der Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, im Rahmen seines Vortrags. Auch existierten Förderprogramme zur Steigerung der Biodiversität in Agrarlandschaften. Dennoch gelinge eine breite Umsetzung bislang nicht. Der Landschaftsarchitekt und Diplom-Ökologe warb dafür, betriebsindividuelle Lösungen zu favorisieren, die Vernetzung sowie Kooperationen zu stärken und eine engmaschige Begleitung durch Landwirtschaftskammern, Stiftungen beziehungsweise Verbände zu gewährleisten. Zwingende Voraussetzung in den Augen Muchows: „Der Landwirt muss von dem, was er produziert – auch wenn es Biodiversität ist – einen Benefit haben.“ Ansonsten gelte, „einfach mal anfangen, es könnte ja gut werden!“.
Betriebe individuell betrachten und Zusammenarbeit stärken
Untermauert wurde diese Einschätzung von Prof. Dr. Valentin H. Klaus Inhaber des Lehrstuhls Biodiversität am Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Er zeigte Maßnahmen auf, die in die Bewirtschaftung von Grünland und Weiden für Rinder integriert werden können, um Artenvielfalt zu fördern und zugleich mit den betrieblichen Belangen unter einen Hut zu bringen. Es gebe zahlreiche Optionen, Fläche und ihr Management ökologisch zu optimieren. Dazu zählt auch die Anpassung der Nutzung hinsichtlich ihrer Intensität und die Verwendung von Mischungen: „Niemals nur Grans, Klee gehört immer dazu.“ Auch Valentin Klaus vertritt die Ansicht, dass das Wissen um die Anforderungen erschöpfend genug sei, um handeln zu können, und zwar mit Augenmaß: „Nicht jeder Betrieb muss alles machen, wir müssen stark sein in der Zusammenarbeit.“
Klaus warb in diesem Zusammenhang für ein Punktesystem nach dem Vorbild des Schweizer Landwirtschaftslabels IP-Suisse, das Ende der 1980er-Jahre als „Schweizerische Vereinigung integriert produzierender Bauern und Bäuerinnen“ gegründet wurde. Heute sind etwa 10.000 eidgenössische Betriebe unter diesem Label vereint, die sich zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft positionieren und den Fokus auf umweltschonende sowie tiergerechte Erzeugung richten. Vor allem aber treten sie aktiv für den Erhalt der Biodiversität ein.
Auswirkungen auf Biodiversität lassen sich quantifizieren
Wie können Biodiversitätsauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette gemanagt werden? Mit dieser Fragestellung hatte Dr. Ulrike Eberle, Geschäftsführende Gesellschafterin bei corsus (corporate sustainability) und Leiterin des Forschungsvorhabens BioVal (Biodiversity Valuing & Valuation) ihren Votrag überschrieben. Sie betonte, wie wichtig es sei, das Management von Auswirkungen auf die Biodiversität in das Nachhaltigkeitsmanagement zu integrieren, „da der Schutz und die Förderung von Biodiversität mindestens ebenso wichtig sind wie es die Bekämpfung des Klimawandels ist“.
Ulrike Eberle stellte die verschiedenen Managementinstrumente vor, die im Forschungsvorhaben BioVal entwickelt sowie erprobt und im Praxishandbuch für Biodiversitätsmanagement für die Lebensmittelwirtschaft zusammengefasst wurden. Insbesondere ging sie auf die BVI-Methode ein, ein Instrument zur Abschätzung der Auswirkungen auf Biodiversität aus der Ökobilanzierung. Corsus habe dieses bereits in verschiedenen Projekten bereits angewandt, erläuterte die Expertin, beispielsweise bei der Berechnung des Biodiversitätsfußabdrucks der deutschen Ernährung im Auftrag von WWF Deutschland.
Es besteht kein Wissensdefizit
„Entstanden sind Grundzüge für eine Biodiversitätsstrategie“, zieht Dr. Gereon Schulze Althoff ein positives Resümee nach der abschließenden intensiven Diskussion. Der Workshop und die intensive Erörterung der Thesen der Referenten hätten in aller Deutlichkeit gezeigt, dass Nutztiere essentiell für den Erhalt der Biodiversität seien und dass bei etwaigen Maßnahmen Rinderhaltung und Grünland Priorität genießen müssen. „Wir haben kein Wissensdefizit, wohl aber eins um Methoden und Anreize“, kündigt Schulze Althoff an, das Thema im Schulterschluss von Tönnies Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft weiter voranreiben zu wollen. So seien Zielbilder für eine Vielfalt auf Flächen jenseits ausgemergelter Magerflächen zu entwickeln, „denn Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion wie vor 70 Jahren kann es nicht sein“. Zudem sei eine Optimierung von Konzepten für Weidehaltungssysteme unabdingbar.
Präsentation Dr. Ulrike Eberle








